Sehr geehrte Frau Ministerin Dr. Wanka, sehr geehrter Herr Minister Gabriel,
beenden Sie den Zustand der Massenbefristung im Wissenschaftsbereich.
Wir bitten Sie:
Treffen Sie Maßnahmen, die Zahl unbefristeter Beschäftigungsverhältnisse im Wissenschaftsbereich deutlich zu erhöhen. Geben Sie
den Wissenschaftsinstitutionen die Möglichkeit und den Auftrag, als verantwortliche Arbeitgeber zu agieren.
Setzen Sie sich für eine deutliche Begrenzung des Anteils befristeter Arbeitsverhältnisse in den Bereichen Wissenschaft und Technik
ein. Insbesondere sind außer-hochschulische Forschungseinrichtungen nicht primär Ausbildungsstätten, sondern wesentlicher Teil des
wissenschaftlichen Arbeitsmarktes.
Öffentliche Fördergelder sollen der thematischen Förderung dienen, nicht einer automatisierten Personalpolitik. Wechselnde Themen
erfordern kein wechselndes Personal. Exzellenz erfordert keine Unsicherheit der Existenz.
Öffentliche Gelder und Gesetze sollen Arbeitsplätze schaffen, keine Befristungsblase.
Wir schlagen vor:
1) Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz soll weiter entwickelt werden:
•
Die personenbezogenen Begrenzungen der Befristungsdauer sollen insbesondere für außer-hochschulische Einrichtungen
ergänzt werden durch institutionsbezogene Begrenzungen des Befristungsanteils deutlich unterhalb des gegenwärtigen
Niveaus. [Anmerkung: Eine Vielzahl von Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern weist hier auf die Notwendigkeit hin, die sog.
12-Jahres-Regel abzuschaffen]
•
Die rechtssichere, institutionelle Befristungsgrenze soll individuell je für die Bereiche wissenschaftliches Personal und
nichtwissenschaftliche, z.B. technische Infrastruktur gelten; Ausgangspunkte der Diskussion für außer-hochschulische
Forschungseinrichtungen könnten Befristungsgrenzen von 30 % der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im wissenschaftlichen
Bereich und 15 % im technischen Bereich sein.
•
Die Regelungen des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes sollen die unterschiedlichen Funktionen von Hochschulen gegenüber
außer-hochschulischen Einrichtungen abbilden und danach differenziert werden; § 5 des WissZeitVG soll entsprechend
angepasst oder ersetzt werden.
•
Für die Erhöhung der Anzahl dauerhafter Arbeitsplätze zur Erreichung der individuellen Befristungsgrenzen soll eine
angemessene aber begrenzte Übergangsfrist mit überprüfbaren Zwischenzielen vereinbart werden; dieser Zeitraum soll den
Forschungseinrichtungen eine geeignete Personalauswahl und den Aufbau einer verteilten Altersstruktur parallel zur
Finanzierungsanpassung ermöglichen.
2) Die Projektförderung des Bundes soll Themen primär durch befristete Sachmittel fördern, nicht durch befristete
Personalmittel:
•
Die Vergabe von Personalmitteln soll vermehrt auf die Finanzierung unbefristeter statt befristeter Stellen ausgerichtet werden;
als Steuerungsmittel könnte die Möglichkeit dienen, unbefristete Stellen nach Ablauf eines geeigneten Zeitraums an die
Stelleninhaberin/den Stelleninhaber zu koppeln.
•
Gegebenenfalls sollen freiwerdende, ursprünglich befristet vergebene Fördermittel in die Grundfinanzierung investiert werden.
•
Im Rahmen der institutionellen Förderung soll darauf geachtet werden, dass die Grundfinanzierung im Personalbereich
weitgehend für die Finanzierung unbefristeter Stellen genutzt wird; ggf. soll § 2, Abs. 2 des WissZeitVG entsprechend
konkretisiert werden.
•
Institutionen mit einem übermäßigen Befristungsanteil im Wissenschafts- oder technischen Bereich sollen im Rahmen der
Projektförderung nur mit Sachmitteln gefördert werden, nicht mit weiteren befristeten Personalmitteln. Statt dessen soll die
Möglichkeit gegeben werden, die Finanzierung zusätzlicher unbefristeter Stellen zu beantragen.
3) Im Rahmen der Ressortforschung soll bezüglich Zahl und Anteil unbefristeter Arbeitsverhältnisse eine Vorbildfunktion erreicht
werden:
•
Dies erfordert die Anpassung der Stellenpläne an den Personalbestand.
•
Hier tragen Bundesfinanzministerium und der Haushaltsausschuss des Bundestages eine besondere volkswirtschaftliche
Verantwortung, den effizienten, d.h. vorwiegend unbefristeten Einsatz von Personalmitteln zu ermöglichen.
4) Im Teilzeit- und Befristungsgesetz soll § 14, Abs. 2 (sachgrundlose Befristung) gestrichen werden.
5) Das institutionelle Befristungssystem soll transparenter werden:
•
Der Anteil befristet Beschäftigter soll in den Jahresberichten der geförderten Einrichtungen getrennt nach den Bereichen
Wissenschaft und Infrastruktur ausgewiesen werden; hierbei sollen Fallzahlen angegeben werden, keine Vollzeitäquivalente.
•
Die Befristungsanteile der geförderten Einrichtungen sollen bundesweit zentral erfasst und getrennt nach den Bereichen
Wissenschaft und Infrastruktur veröffentlicht werden.
Warum die Petition ?
Die massenhafte Befristung von Arbeitsverträgen im Wissenschaftsbereich schadet Wissenschaft und Gesellschaft.
In der Wissenschaft arbeitet ein Heer von Zeitarbeitern, gefördert mit öffentlichen Mitteln. Zunehmend werden Stellen befristet
vergeben, angefeuert durch die befristete Vergabe von Personalmitteln. Befristete Stellen ersetzen Arbeitsplätze, ein großer Teil der
deutschen Wissenschaftlergemeinde bewegt sich in einer Endlosschleife von Zeitverträgen. Die Betroffenen sind in jeder Lebensphase
gezwungen, fortwährend nach der nächsten Stelle Ausschau zu halten.Trotz harter Arbeit ergibt sich kaum eine langfristige, dauerhafte
Perspektive; sie ist nicht vorgesehen. Stets bietet die aktuelle Stelle nur vorübergehend wirtschaftliche Sicherheit und ist überschattet
von dem unaufhaltsamen Näherrücken des Vertragsendes. Fortwährende existentielle Unsicherheit ist die Folge, eine selbstbestimmte
Lebensplanung kaum möglich. Leidtragende sind nicht nur die Beschäftigten in Wissenschaft und Technik, sondern auch ihre Partner
und Kinder. Unverschuldet werden sie durch erzwungene Wechsel des Wohnorts immer wieder aus ihrer vertrauten Umgebung
gerissen. Sie verlieren ihren Freundeskreis, die Partner ihren Arbeitsplatz. Viele Wissenschaftler/innen wagen aufgrund der
fortgesetzten Befristung ihres Arbeitsplatzes nur sehr spät oder nie die Gründung einer Familie.
Die massenhafte Befristung von Arbeitsverhältnissen in Wissenschaft und Technik ist unsozial und familienfeindlich.
Die Wissenschaftsinstitutionen leiden unter einem übermäßigen Anteil befristeter Arbeitsverhältnisse, sie sind geprägt durch Mangel an
Stammpersonal und Personalfluktuation. Stets müssen sie bereit sein, Ihre Mitarbeiter nach wenigen Jahren wieder auf die Straße zu
setzen, falls die Drittmittel ausbleiben. Daneben gibt es Einzelfälle, in denen selbst die Grundfinanzierung dazu verwendet wird,
befristete Arbeitsverhältnisse abzuschliessen. Dies ist die primitivste Form von Personalpolitik und Personal“entwicklung“. Wo Personal
nur aus Drittmitteln und projektbezogen eingestellt wird, ist kein langer Atem in der Forschung möglich. Personelle Abhängigkeit von
Drittmitteln untergräbt Autonomie und Eigenverantwortung der wissenschaftlichen Einrichtungen, kurzfristige Planung gefährdet
nachhaltige Forschung. Statt ihre eigentliche Aufgabe der inhaltlichen Leitung wahrnehmen zu können, verbringen Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter in wissenschaftlichen Leitungsfunktionen zur Sicherung des Personalbestandes einen großen Teil ihrer Arbeitszeit mit
Anträgen und Berichten zu Projekten. Die auf Grund der Befristung von Mitarbeitern entstehenden Projektgeflechte verursachen intern
und extern zusätzlichen Verwaltungsaufwand. Gleichzeitig führt die mit massiver Befristung einhergehende Perspektivlosigkeit zu
Personalfluktuationen auch während laufender Projekte. Die Folge ist nicht „Erneuerung“ der Forschung sondern Auszehrung. Mühsam
erworbenes Wissen geht verloren, immer wieder müssen neue Mitarbeiter in komplexe Themen eingearbeitet werden. Unbemerkt von
der Öffentlichkeit geraten hoch subventionierte Forschungsvorhaben ins Stocken oder werden zurückgeworfen. In den
Geisteswissenschaften kommt zur Sicherung des Personalbestands mitunter die Notwendigkeit zur Aneinanderreihung
unzusammenhängender Einzelprojekte hinzu. Oft gilt: unbefristet vergebene Personalmittel sind besser investierte Personalmittel.
Die massenhafte Befristung von Arbeitsverhältnissen in Wissenschaft und Technik ist inhaltlich und strukturell ineffizient.
Sehr geehrte Frau Ministerin Dr. Wanka, sehr geehrter Herr Minister Gabriel,
Sie und Ihre Kabinettskollegen haben vielfältige Möglichkeiten, das Problem der massenhaften Befristungen im Wissenschaftsbereich
zu lösen, insbesondere im Fall der außer-hochschulischen Einrichtungen: Durch das Einbringen von Vorschlägen zu
Gesetzesänderungen; durch geeignete Richtlinien für die Vergabe von Fördermitteln; mittels vorbildlicher Stellenpläne in den
Forschungseinrichtungen der jeweiligen Ressorts; durch Ihre Mitarbeit in den Aufsichtsgremien und Kuratorien der
Wissenschaftsorganisationen und -einrichtungen; durch Vereinbarungen mit den Ministerinnen und Ministern der Länder beispielsweise
im Rahmen der gemeinsamen Wissenschaftskonferenz.
Wir bitten Sie: Nutzen Sie Ihre Möglichkeiten.